Das Abitur. Im Wörterbuch
findet man es eingeklemmt
zwischen der Abisolierzange
und Abjudikation,
in nächster Nachbarschaft
zur Abiogenese und
nicht weit entfernt von der
afrikanischen Stadt Abidjan.
Soweit so ernüchternd.
Aufschlussreicher wird es,
wirft man einen Blick auf
die Etymologie des Wortes.
Abire, abgehen, heißt
es im Lateinischen, da ist
es nicht weit zum Abitur,
dem – freilich ehrenvollen
- Abgang von der Schule. Doch
das Spektrum der Bedeutungen
von abire ist geradezu
gigantisch, und so spuckt
das Wörterbuch unter
anderem auch aufgeben
und sich verlieren
als Übersetzungsvarianten
aus. Aufgabe und Orientierungslosigkeit,
ist es etwa das, was das Abitur
für uns bereit hält?
Natürlich nicht. Oder
doch? Zumindest spiegelt das
Beispiel zwei Seiten einer
Medaille wider. Erfolg auf
der einen Seite, Misserfolg
auf der anderen. Für
den Fernschüler ist diese
Thematik umso bedeutender,
als er mit Rückschlägen
und Krisen meist alleine fertig
werden muss. Durch den eingeschränkten
Kontakt zu anderen Mitstreitern
fehlt ihm der positive Gruppeneffekt,
der in Durststrecken Ansporn
zum Durchhalten gibt und gleichzeitig
Raum für neue Motivation
schafft.
Die folgenden Gedanken sollen
dieses Vakuum ein wenig füllen.
Ich selber habe das Fernabitur
absolviert, dabei Hoch und
Tiefs durchlaufen, mitunter
auch ans Aufgeben gedacht.
Solche Gedanken sind mit dem
Abiturzeugnis in der Hand
wie weggefegt.
Der gemeine Gymnasiast darf
an diesem wohligen Gefühl
schon Jahre vorher zumindest
ein wenig teilhaben, dann
nämlich, wenn die Abiturienten
der höheren Jahrgänge
feierlich verabschiedet werden.
Der Fernschüler indes
bekommt davon wenig mit, bei
ihm stapeln sich lediglich
die Kartons immer neuer Studienmaterialsendungen.
Dass aber auch das Fernabitur
zu schaffen ist, zeigen viele
erfolgreiche Kandidaten jedes
Jahr. Worin liegt deren Geheimrezept?
Wenn es denn eines gibt, so
spielen Motivationsvermögen
und Frustrationstoleranz sicherich
eine wesentliche Rolle.
Jeder Fernschüler weiß
aus leidvoller Erfahrung,
dass das Aufraffen zum Lernen
vielfach kraftraubender ist
als das Lernen selbst –
ein aufs andere Mal muss als
Hürde zuerst der innere
Schweinehund überwunden
werden. Bleibt man da nicht
hartnäckig genug, fallen
einem plötzlich unheimlich
wichtige Dinge ein, die höchste
Priorität verdienen und
sofort erledigt werden müssen.
Fatal: Beim nächsten
Anlauf wird es nicht einfacher,
der Druck nimmt zu und die
Wahrscheinlichkeit eines erneuten
Aufschiebens leider auch.
Gerade zu Beginn des Lehrgangs
gerät man rasch in diesen
Teufelskreis – ich jedenfalls
bin unzählige Male hineingetappt.
Mit der Zeit aber hat die
Hinterlistigkeit des inneren
Schweinehundes für mich
an Bedeutung verloren, nicht
zuletzt auch als Resultat
einiger Gegenmaßnahmen.
Die Angewohntheit, zu regelmäßigen
Zeiten zu lernen, gehört
ebenso dazu wie mein ganz
persönliches „Belohnungssystem“,
wonach das Erreichen festgelegter
Ziele mit einem Kinobesuch
oder ähnlichem belohnt
wurde.
Die Möglichkeiten zur
Motivationssteigerung sind
vielfältig – erlaubt
ist, was gefällt. Am
sinnvollsten ist es aber sicherlich,
wenn die Motivation der Freude
am Lernen entspringt. Auch
bei mir war dies nicht immer
und in allen Fächern
der Fall. Manchmal war das
Durchackern der Hefte lediglich
ein notwendiges Übel,
in anderen Fächern wiederum
kam der Spaß am Lernen
nicht zu knapp. Wenn dann
auch noch der Lernfortschritt
durch eine gute Benotung der
Hausaufgabe vom Tutor bestätigt
wurde, war der Motivationstank
wieder randvoll gefüllt.
Bisweilen leerte sich dieser
aber auch wieder rasch. Angehende
Fernabiturienten kennen es
zur Genüge: das eine
Mal quält man sich wochenlang
an einem Studienheft ab (manchmal
hing es bei mir an einem einzigen
Satz), das nächste Mal
lässt die Hausaufgabennote
zu wünschen übrig
und die verbliebene Motivation
restlos verpuffen. Hier gilt
es, die notwendige Frustrationstoleranz
zu entwickeln, sonst wird
das ganze Unterfangen schnell
zur Qual. Leicht gesagt, doch
wie sieht die Praxis aus?
Zunächst einmal ist es
wichtig zu wissen, dass man
mit seinen Problemen nicht
alleine dasteht. Jeder hat
hin und wieder Verständnisschwierigkeiten
(auch in seinen Lieblingsfächern)
und keiner ist davor gefeit,
die eine oder andere Hausaufgabe
in den Sand zu setzen. Natürlich
ist dies ärgerlich, es
zeigt aber lediglich, dass
man sich den Stoff noch einmal
genauer anschauen sollte -
schließlich arbeitet
man auf eine Prüfung
hin. (Dumm gelaufen hingegen,
wenn die schlechte Note als
Konsequenz einer Abschreibleistung
einschwebt, weshalb man davon
grundsätzlich die Finger
lassen sollte).
Keineswegs sollte man sich
dazu verleiten lassen, nach
einem Misserfolg das Lernen
frustriert an den Nagel zu
hängen und auf Gnade
von oben zu hoffen. Ähnlich
wie ein gestürzter Skispringer
seine angeknackste Psyche
durch einen unmittelbar folgenden
Sprung rehabilitiert, kann
auch der Lernende neue Motivation
am besten aus neuen Lernerfolgen
schöpfen. Sind die Lernhefte
hingegen erst einmal in der
Versenkung verschwunden, kostet
es von Tag zu Tag mehr Überwindung,
sie aus ihrem Dornröschendasein
zu befreien.
Zugegeben, in der Theorie
ist dies leicht dahingesagt
und die Umsetzung ist alles
andere als einfach. Sie kostet
ebenfalls Überwindung
– allerdings mit dem
Unterschied, dass die aufgebrachte
Energie eine gute Investition
ist, die sich in vielfacher
Hinsicht auszahlt. Nicht nur
geht das Lernen schneller
von der Hand, es macht auch
bedeutend mehr Spaß.
Die ganze Kunst liegt darin,
seinen Frust in positive Lernenergie
umzuwandeln, welche dann ihrerseits
für neue Erfolgserlebnisse
sorgt und die positive Einstellung
zum Lernen fördert. Diese
Kunst ist erlernbar, einzige
Voraussetzung ist beständiges
Üben. Ich persönlich
habe es folgendermaßen
gehalten: sobald der angestaute
Frust überhand zu nehmen
drohte – sei es durch
Verständnisschwierigkeiten,
mangelnde Erfolgserlebnisse
oder auch ein generelles Motivationsloch
– verschaffte ich mir
in einem ersten Schritt kleine
Erfolgserlebnisse auf anderem
Terrain, z.B. indem ich einige
Vokabeln einübte und
damit meine Karteikartensammlung
vergrößerte. In
einem nächsten Schritt
packte ich dann das Problem
an der Wurzel und besorgte
mir zum Beispiel etwas Sekundärliteratur
aus der Bibliothek, um den
Lernstoff aus einer anderen
Perspektive betrachten zu
können. Allein schon
aus dem Gefühl heraus,
mich aktiv mit dem Problem
zu beschäftigen, stiegen
Motivation und Durchhaltekraft.
Die Erfolgserlebnisse durch
Verständnis des Lernstoffes
trugen schließlich ihr
Übriges dazu bei, dass
die Schwierigkeiten bald vergessen
waren.
Sicherlich kostet der Biss
in den saueren Apfel am Anfang
reichlich Überwindung,
schließlich könnte
man das Problem auch ganz
einfach vertagen. Doch aufgeschoben
ist bekanntlich nicht aufgehoben.
Die Verdrängungstaktik
rächt sich gleich doppelt
- in Form immer wieder fehlgeschlagener
Anlaufversuche und sinkender
Motivation.
Durchhaltevermögen,
Frustrationstoleranz, Selbstdisziplin
– all diese Fähigkeiten
gehören zum Handwerkszeug
eines Fernabiturienten. Sie
müssen ebenso erlernt
werden, wie der Lernstoff
selbst, ohne dass sie in irgendeinem
Curriculum auftauchen. Angesichts
ihrer Bedeutung für den
persönlichen Erfolg stellen
sie eine große Hürde
dar – und bieten doch
gleichzeitig eine große
Chance. Wer nämlich gelernt
hat, auch in schwierigen Situationen
neue Quellen der Motivation
zu erschließen und das
Ziel nicht aus den Augen zu
verlieren, kann gelassener
durchs Leben gehen. Und ist
dies allein nicht schon Ansporn
genug, durchzuhalten?
Übrigens: Hilfreiche Tipps zur Motivation im Fernstudium finden sich auch hier