Ferndiagnose - Die Kolumne zum Fernabitur, Folge 3
Auf den Hund gekommen
Ich habe ihn Hasso getauft. Hasso
mit zischendem Doppel-S. Onomatopoetisch
hinreichend aussagekräftig,
um sein aggressives Äußeres
widerzuspiegeln - ordinär genug,
um ihn nicht zu sehr aus der Masse
hervorstechen zu lassen.
Hasso ist einer von der bösen
Sorte, charakterlich wie auch physiognomisch,
eine Mischung irgendwo zwischen
American Pitbull Terrier und Dogo
Argentino. Seine Gangart ähnelt
in frappierender Weise der eines
aufgepumpten Bodybuilders und lässt
Eltern das Verdeck ihres Kinderwagens
hektisch herunterklappen. Irgendwie
verständlich, weisen die Zähne
und muskelbepackten Schenkel diesen
Hund doch unmissverständlich
als Repräsentant der Rohfleischfresser
aus (wobei ihn dies oft kaum von
seinem Durchschnittsbesitzer unterscheidet,
wie man angesichts der wandelnden
Anabolika-Schränke mit Zehnerkarte
beim Tätowierer wähnen
könnte).
Doch ich halte mir Hasso nicht als
Potenzverstärker. Und überhaupt,
ich habe mir den Köter gar
nicht ausgesucht, geschweige denn
gewünscht – er war auf
einmal da und hat mich zu seiner
Hundehütte gemacht. Das niedliche
Welpenstadium muss ich wohl verpasst
haben, er trat mir gleich als Inkarnation
des Abscheulichen gegenüber
– als mein innerer Schweinhund.
Zugegeben, im Normalfall hält
sich Hasso sehr zurück. Er
zieht es vor, in seiner Hütte
vor sich hin zu dösen und statt
Gassigehen dem süßen
Nichtstun zu frönen. Bellen
kann er wegen seines vollgesabberten
Maulkorbes sowieso nicht und auch
Vollmondnächte haben ihn noch
nie sonderlich interessiert. Der
Volksmund aber weiß: stille
Wasser sind tief. Und genau so verhält
es sich auch mit Hasso. Er scheint
eine Art Stand-By-Leben zu führen,
ständig bereit, auf die ihm
zugewiesen Signale zu reagieren.
Ob dieses Verhalten nun angeboren
ist oder auf hinterlistiger Konditionierung
beruht – fest steht, dass
er sich in eine Bestie sondergleichen
verwandelt, sobald ich nur den kleinsten
Gedanken an Bügeln, Bad putzen
– oder eben auch Lernen hege.
Bei Letzterem ist es besonders schlimm,
was vermutlich auch daran liegt,
dass ich diese Arbeit nur schwerlich
auf andere Personen im Verwandtenkreis
abschieben kann. Hasso scheint dies
zu wissen, weshalb er umso motivierter
in den Kampf zieht. Ökologisch
günstig eingenischt zieht er
seine vollste Befriedigung allein
aus meinem Leiden und der auf ihn
gerichteten Aufmerksamkeit. Und
die ist ihm sicher, denn das Biest
versteht sein Handwerk. Getreu dem
Motto „der Geist ist willig,
doch das Fleisch ist schwach“,
greift Hasso ein ums andere Mal
auf seine ausgefeilte Guerilla-Taktik
zurück, deren Durchlagskraft
vor allem auf dem ihr innewohnenden
Zermürbungspotential fußt.
Los geht’s mit den Scharmützeln
schon beim Gang zum Schreibtisch.
Noch hochmotiviert und voll hehrer
Absichten werde ich bereits Opfer
der ersten Psycho-Attacke. Erst
hört es sich an, als hätte
Hasso einen kaputten Kühlschrank
in seiner Hütte angeworfen,
ein sonores und langanhaltendes
Brummen erklingt, doch genaueres
Hinhören entlarvt als Geräuschquelle
das Tier selbst - und plötzlich
wird das belustigende Brummen zum
bedrohlichen Knurren.
Damit hat Phase 1 der psychologischen
Kriegsführung begonnen. Wer
sich schon jetzt in die Hose macht,
hat sowieso verloren, denn hier
gilt: ganz oder gar nicht, Sieg
oder Niederlage, Alles oder Nichts.
Also gehe ich zunächst den
Weg der Indifferenz und lasse mein
Gehirn das animalische Knurren doch
als Bauknecht-Brummen interpretieren.
Richtig übel wird es erst,
wenn sich zu den Warnsignalen auch
solche olfaktorischer Art gesellen
und ich plötzlich Hassos modrig-heißen
Atem an meinem Schienenbein spüre.
Meist ist dies soweit, wenn ich
das Lehrbuch aufgeschlagen, den
College-Block hervorgekramt und
die ersten Schachtelsätze dechiffriert
habe. Die Anwesenheit des Köters
hat zu diesem Zeitpunkt bereits
einen solch penetranten Charakter,
dass an gesteigerte Gehirnaktivität
nur schwerlich zu denken ist.
Und so schweifen die Gedanken ab.
Sie verlassen den Dunstkreis schwerverdaulicher
Literatur, driften ab in die Welt
des Alltäglichen und kreisen
schließlich nur noch um die
Notwendigkeit eines kurzen E-Mail-Checks.
Der Ein-Aus-Schalter des Rechners
ist schnell gefunden und siehe da
– von Hasso keine Spur mehr.
Von meiner festen Absicht zur konsequenten
Wissensaneignung aber leider auch
nicht, der Punkt geht eindeutig
auf Hassos Konto.
So läuft es an schlechten Tagen.
Doch es gibt auch gute Tage - und
ohne das ich Statistik führe,
meine ich beobachten zu können,
dass Hasso zunehmend in die Defensive
gerät. Man muss bedenken, dass
auch Hasso als fleischgewordene
Kampfmaschine der natürlichen
Vergänglichkeit unterworfen
ist. Und so halte ich mich an einem
dünnen Strohhalm fest: Die
Hoffnung stirbt zuletzt –
vorher ist Hasso dran.
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